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Wirtschaft als Schulfach – Spinnerei oder längst überfällig?

Schulfach: Wirtschaft!

Wie? Was soll das denn? Wo ist sie hin, die seit Jahrzehnten so gut funktionierende Erziehung hin zu braven „nine-to-five-workern“, wie die Amis sagen würden? Da erdreistet sich doch gerade das grün-rot unter Ministerpräsident Kretschmann regierte Baden-Württemberg, ab dem Schuljahr 2016/17 ein Schulfach „Wirtschaft“ einzuführen. Dabei waren gerade SPD und Grüne seit je her Garant für eine aufstrebende Arbeiterklasse und mehr Staat statt mehr Selbstverantwortung des Individuums. Baden-Württembergs Wirtschaftsminister Nils Schmid ist dieses Anliegen so wichtig, dass er es sich nicht nehmen ließ, die Einführung des Schulfachs Wirtschaft in den Medien selbst zu verkünden. Das Feld wurde nicht allein Kultusminister Andreas Stoch überlassen.

Praktiker aus dem beruflichen Alltag – Geschäftsführer, Gewerkschafter, Abteilungsleiter und sogar Azubis – sollen in den Klassen referieren. Das Fach soll in den neuen Bildungsplan aufgenommen werden, der wohl aus Zeitgründen vor der nächsten Landtagswahl Anfang 2016 nicht mehr in Kraft treten wird. Ursprünglich war die Einführung des neuen Faches schon für den Bildungsplan 2015/2016 vorgesehen, weiß die Frankfurter Allgemeine Zeitung zu berichten.

Die Gewerkschaften machen sich bereit zum intervenieren

Angesichts der – vorsichtig ausgedrückt – mangelnden wirtschaftlichen Kompetenz insbesondere Jugendlicher und junger Erwachsener, sollte man diesen Vorschlag eigentlich unterstützen. Aber wir wären nicht das Land der Dichter, Denker und Nörgler, wenn nicht auch dieser Plan der Landesregierung Baden-Württemberg in einigen Kreisen auf massiven Widerstand treffen sollte.

Eine Gruppe von Kritikern steht den Plänen von Kretschmann und seiner Regierung eher skeptisch gegenüber. Und sogar Spiegel Online titelte am 14. Oktober vergangenen Jahres: „Wirtschaft im Unterricht: Eine Lobby bekommt ihr Schulfach“. Im Untertitel des Artikels heißt es: „Die Stiftung eines reichen Verlegers fordert Wirtschaft als Pflichtfach in der Schule. Jetzt setzt die Landesregierung in Baden-Württemberg den Wunsch um. Gewerkschafter sind alarmiert“. Was für eine paradoxe Situation. Da kann sich nach einer gefühlten Ewigkeit endlich ein Bundesland dazu durchringen, ihren Schülern mehr Wirtschaftskompetenz zu vermitteln und schon kommt wie auf Knopfdruck der Aufschrei der Gewerkschaften. Insbesondere die GEW-Vorsitzende Moritz kritisierte eine „auffällig enge Zusammenarbeit“ zwischen der Holtzbrinck-Stiftung und der Landesregierung. Die Holtzbrinck-Stiftung ist einer der Treiber für die Einführung des neuen Schulfachs. Aber gegen was protestieren die Gegner des Unterrichtsfachs, allen voran die Gewerkschaften?

Gedichtsanalysen in vier Sprachen – Aber keinen Plan vom Leben

Betrachten wir die Situation einmal aus der Nähe. Wie steht es um die Wirtschaftskompetenz unserer jungen Leute, die ja schließlich unsere Zukunft und das Rückgrat einer Gesellschaft darstellen? Dass diese wohl eher unbedachten 22 Worte aus der Feder der 17-jährigen Schüler Naina für so viel Wirbel sorgen würden, hätte sie sich selbst wohl auch nie träumen lassen. Die Gymnasiastin twitterte am 10. Januar 2015 folgenden Tweet: „Ich bin fast 18 und hab keine Ahnung von Steuern, Miete oder Versicherungen. Aber ich kann ’ne Gedichtsanalyse schreiben. In 4 Sprachen.“ Diese zwei Sätze haben einen regelrechten Hype ausgelöst und vor allem eine in Deutschland längst überfällige Debatte ausgelöst. Die Schülerin erhält viel Zuspruch. So haben sich Tausende Menschen zum Thema geäußert und ähnliche wie Naina die Versäumnisse im Schulwesen angeprangert. Natürlich gab es durchaus auch kritische Stimmen. So wurde Bildung beispielsweise auch als Holschuld bezeichnet und manch ein User twitterte zurück, dass ja wohl für solche Themen nicht die Schule, sondern die Eltern zuständig seien.

Wem auch immer man welche Zuständigkeit zuschreibt, Fakt ist, dass große Bevölkerungsteile der westlichen Industrienationen immer seltener dazu in der Lage sind, einfachste finanzielle Zusammenhänge zu verstehen. Das belegen mehrere Studien, die sich mit dem Thema Finanzwissen beschäftigen. Naina, die 17-jährige Gymnasiastin, trifft den Nagel auf den Kopf, wenn sie von mangelndem Wissen über Versicherung, Steuern und Miete spricht. So konnten vier von fünf Jugendlichen nicht schlüssig erläutern, was man unter dem Zinseszinseffekt versteht. Auch das vermeintliche Paradoxon, dass man sich eigentlich „arm spart“, wenn man sein Geld für 1 Prozent Zinsen bei der Bank anlegt, war den meisten jungen Menschen nicht bewusst. Die geldentwertende Inflationsrate von durchschnittlich rund 2,5 Prozent (im Moment etwas niedriger) hatten Sie nicht bedacht. Und auch der Begriff Haftpflichtversicherung haben tatsächlich einige der Befragten mit einer Art Freifahrtschein für den Fall einer Verhaftung assoziiert.

Die Verschuldungsquote von Jugendlichen ist erschreckend hoch

Wenn man bedenkt, dass allein 12 Prozent der 13 – 17-jährigen schon mit durchschnittlich rund 250 Euro verschuldet sind, ist handeln geboten. Es ist dringend an der Zeit, den ökonomischen Analphabetismus an der Wurzel zu packen, rigoros zu bekämpfen und schon Schülerinnen und Schülern den vernünftigen Umgang mit Geld beizubringen. Unsere Kinder werden täglich aggressiv und auch latent dazu aufgefordert, möglichst viel Geld in das neueste Smartphone, ein IPad oder die neuste Markenjeans zu stecken. Ohne eine grundsolide finanzielle Allgemeinbildung sind die Kids den Verlockungen der Konsumgesellschaft fast schutzlos ausgesetzt; zumindest dann, wenn auch die Eltern nicht frühzeitig intervenieren. Allerdings klaffen oft auch im Elternwissen um die Finanzen erhebliche Lücken.

Das neue Schulfach, Wirtschaft, Berufs- und Studienorientierung, wie der etwas sperrige Name korrekt lautet, wird ab Herbst 2016 an allen allgemeinbildenden Schulen ab Klasse 7 bzw. Klasse 8 an den Gymnasien eingeführt.

Als Fazit plädiere ich dafür, diesem Vorstoß der baden-württembergischen Landesregierung eine Chance zu geben. Dümmer wird davon niemand. Selbst wenn künftige Schülergenerationen dann vielleicht nur noch Gedichtsanalysen in zwei Sprachen schreiben können.

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Über Micha

Michael Noetzelmann ist gelernter Diplom-Verwaltungswirt, Projektleiter, Entrepreneur, Freigeist und Autor. Besonders wichtig sind ihm liberale Denkansätze und die breitgefächerten Themenbereiche Erfolg und Freiheit,

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